Isaan-Wanderungen: Bai Nai?

„Bai nai?“ Wohin des Weges? Unzählige Male schalt mir diese Mischung aus Frage und Gruß entgegen, wenn ich mal wieder zu Fuß durch den Isaan streife. Ein wandernder Farang? Für viele Bewohner der kleinen Dörfer ist das eine illustre Erscheinung. Wo kommt er her? Wo will er hin? Und warum fährt er nicht mit Auto, Motorrad, Taxi oder Songthaew?

„Bai nai?“ Wohin des Weges? Unzählige Male schalt mir diese Mischung aus Frage und Gruß entgegen, wenn ich mal wieder zu Fuß durch den Isaan streife. Ein wandernder Farang? Für viele Bewohner der kleinen Dörfer ist das eine illustre Erscheinung. Wo kommt er her? Wo will er hin? Und warum fährt er nicht mit Auto, Motorrad, Taxi oder Songthaew?

Mehr dazu hier: https://thainess.de/isaan-wanderungen-bai-nai/

Isaan: Verlobung vorm Frühstück

Mit einer Verlobung noch vor dem Frühstück, so wie es mir erging, muss es nicht zwangsläufig enden: Doch ein Trip in das „andere Thailand“ jenseits der Touristenhochburgen – zum Beispiel in den „Isaan“ im Nordosten – lohnt sich allemal.

Die Welt der Traumstrände, Luxushotels, gigantischen Tempelanlagen oder der bisweilen ebenso weitläufigen Vergnügungsviertel in Bangkok, Phuket oder Pattaya ist keineswegs Thailands einzige charakteristische Seite. Für die Thais wird das Land viel stärker durch „ihr“ Dorf irgendwo fernab der Städte und Touristen geprägt. Viele, die in den Metropolen ihren Arbeitsalltag leben, wünschen sich nichts sehnlicher, als eines Tages in ihr dörfliches Kleinod zurückkehren zu können. Die fruchtbare Landwirtschaft der unzähligen Dörfer hat Siam einst reich und mächtig werden lassen im Südosten Asiens. Und diese Landwirtschaft beherrscht weite Teile des Landes noch heute viel stärker als dies viele Touristen in ihren Hotspots wahrnehmen können.

Die ärmste Region des Landes ist der Isaan, eine relativ trockene Hochebene im Nordosten Thailands, an den Grenzen zu Kambodscha und Laos. Obwohl vom Grenzfluss Mekong berührt, ist im Isaan – im Gegenteil zur wasserreichen Tiefebene nördlich von Bangkok – zumeist nur eine Reisernte pro Jahr möglich. Trotzdem prägt die Landwirtschaft diese Region. Der meteorologische und geologische Nachteil sorgt bis heute für ein starkes wirtschaftliches Gefälle zwischen dem Isaan und dem Rest des Landes. Im Isaan trifft man noch am ehesten eine Situation an, die man früher als „Dritte Welt“ bezeichnet hätte. Viele aus dem Isaan sind längst ausgewandert, um ihre Existenz zu sichern. Als Fabrikarbeiterinnen, Taxifahrer, Hotelpersonal, Kleinunternehmer oder Barmädchen trifft man sie im ganzen Land.

Vor meinem ersten Trip in den Isaan bin ich daher gewarnt worden: Ringsherum nur Reisfelder. Elende, arme Hütten, in denen man auf harten Holzbohlen übernachten müsse. Kein Brot. Keine Wurst. Keine Dusche. Kein Warmwasser. Das „Hong naam“ – der Abort also – mindestens gewöhnungsbedürftig.

Ich war also gespannt! Und keineswegs beunruhigt. Denn meine Indien-Trips waren eine gute Schule und ich vertraute darauf, dass mich nichts mehr richtig schocken könne, seitdem ich drei Monate lang in einer Strandhütte ohne Heißwasser in Goa gelebt hatte. So war es dann auch, zumal sich die Hütte, in der ich zum ersten Mal in einem Isaan-Dorf übernachten sollte, durch die Transfergelder aus den Tätigkeiten des Eigentümers im Eastern Seaboard nahe Chon Buri als veritables Haus weit über dem üblichen Dorf-Standard herausstellte.

Jener Eigentümer, der sich als Selfmade-Mann in der Region Bangkok hochgearbeitet hat und heute eine veritable Fensterbaufirma sein Eigen nennt, ist der Onkel meiner heutigen Frau. Da die Eltern meiner Frau bereits verstarben, als sie noch ein kleines Kind war, ist er eigentlich mehr als irgendein Onkel, vielmehr Ersatzvater und Familienoberhaupt. Nachdem ich meine spätere Frau in Deutschland kennengelernt hatte und der erste „Gegenbesuch“ in Thailand anstand, hätte er mich zu gerne persönlich in sein Heimatdorf im Isaan gebracht. Aber seine Geschäfte ließen das zeitlich nicht zu. Nach einigen Tagen Bedenkzeit willigte er schließlich ein, dem „Farang“ einen seiner Firmen-Pickups zu überlassen, um damit in den Isaan zu fahren. Mir war das ganz recht. Zwar wäre ich gerne mit ihm, der mir von Anfang an sehr sympathisch und verbunden war, ins Dorf gefahren. Aber ich bin der weltschlechteste Beifahrer und fühle mich in einem Auto nur dann wirklich wohl, wenn ich es selbst lenke. Dies war für Onkel anfangs jedoch unvorstellbar: ein Ausländer mit seiner „Tochter“, deren Schwester samt Sohnemann, einer Freundin und auch noch seinem Firmenwagen unterwegs in unbekanntem thailändischem Terrain jenseits der Touristenpfade. Konnte das gut gehen? Es bedurfte einiges an Überzeugungsarbeit, um den Trip zu ermöglichen. Und so startete ich doch eines Tages von Chon Buri aus zum ersten Mal in den Isaan.

Die Sorgen des Onkels schienen sich übrigens nach wenigen Fahrkilometern schon zu bestätigen: Ohne es zu merken oder von den schnatternden Damen im Fond des Wagens darauf hingewiesen worden zu sein, bog ich bald nach dem Start in die falsche Richtung auf die Schnellstraße 331 ab. Nach etwa 20 Kilometern wunderte ich mich, dass immer noch die Stadt „Sattahip“ als Ziel angegeben wurde. Ich wusste damals schon, dass diese in südlicher Richtung am Meer lag, also genau entgegengesetzt zu meinem Ziel im Isaan. Also unterbrach ich irgendwann die Starkkommunikation meiner Mitreisenden, um mich zu erkundigen, ob es sich möglicherweise nicht um die richtige Reiserichtung handeln könnte. Nach etwa fünf Kilometern Diskussion kamen meine Begleiterinnen überein, dass sie meiner These dem Grunde nach zustimmen und schlugen einen angemessenen „U-Turn“! vor. So wurde es nach Rücksprache mit Onkel in Chon Buri gemacht, dessen Stimme mir am Telefon, obwohl ich die thailändischen Worte nicht verstand, sehr entnervt und besorgt vorkam.

Aber nach diesem kleinen Fehler gelang es mir, auf dem restlichen Weg in die „Surin Province“ im südöstlichen Isaan nicht mehr falsch abzubiegen und hatte an den Kreuzungen und Autobahnübergängen jeweils die volle Aufmerksamkeit der Reisegesellschaft. Die wirklich guten und auch jederzeit in lateinischer Schrift vorhandenen Ortsbezeichnungen und Richtungsschilder halfen mir dabei. So konnte ich jeweils etwa 3 Kilometer vor denjenigen Kreuzungen, an denen ich Zweifel über den richtigen Weg hegte, die Diskussion eröffnen. Und die Mädels kauften sogleich nachdem der Fehler auf der 331 bemerkt wurde, eine…… Straßenkarte?

Nein: ein Blumenbouquet, das in Thailand als Segensbringer für alle Reisenden am Rückspiegel befestigt wird. Damit sollte nichts mehr schiefgehen. Und so war es auch.

Auf meinem Highway-Trip fernab der Ballungszentren und Touristenhochburgen überraschte mich nicht nur die Beschilderung positiv. Die Hauptstraßen sind größtenteils gut ausgebaut, vierspurig und ähneln westeuropäischen Bundes- oder Nationalstraßen. Ein himmelweiter Unterschied zu meinen Overland-Trips in Indien! Und auch die sonstige Infrastruktur ist bestens: „Echte“ Tankanlagen mit den bekannten „7Eleven“-Märkten, „Food Courts“und gepflegten öffentlichen Toiletten, desweiteren Fahrbahnmarkierungen, Mittelstreifen, Ampelanlagen, an die sich die Verkehrsteilnehmer sogar halten und so weiter und so weiter: alles reichlich vorhanden!

Einige wenige Passagen der Strecke sind dennoch besonders herausfordernd. Bis heute beeindruckt mich jedes Mal die von mir so getaufte „Buriram-Stiege“, ein etwa acht Kilometer langer zweispuriger Aufstieg hinter Aranya Prathet, also genau an der Stelle, wo die Tiefebene endet und die Höhen des Isaan beginnen. Sowohl beim Start in die Stiege im Tal als auch oben am Zenit des Aufstieges, kontrollieren zwei Polizeistationen den Durchgangsverkehr. Man will sichergehen, dass alle Fahrzeuge, die am jeweiligen Punkt starten, am anderen auch wieder ankommen. Unterwegs zeugen die verrosteten, teilweise ausgebrannten Wracks an den bergigen Hängen, warum diese Maßnahme sinnvoll ist. Hat man das regelmäßige Pech, auf dem langen, schmalen Anstieg hinter einem überladenen, extrem langsam fahrenden Uralt-Truck zu geraten, wird die Stiege zum Geduldsspiel, das nur durch waghalsige – und zweifelsohne verbotene – Überholmanöver von weniger geduldigen Zeitgenossen unterbrochen wird. Für mich ist dieser Streckenabschnitt nicht nur fahrerisch herausfordernd und gefährlich, sondern geradezu mystisch. Die enge Straße, das dunkle Wald- und Dschungeldickicht links und rechts direkt am Fahrbahnrand, die fast ungesicherten Abhänge, die schleichenden Fahrzeuge: Alle Zutaten für ein düsteres Roadmovie sind vorhanden. Und daher verwundert es mich nicht, dass sich neben den beiden Polizeikontrollstellen jeweils eine Zeremoniestelle befindet, über und über mit Buddha- und anderen Statuen, Räucherstäbchen und Opfergaben versehen aus Dankbarkeit von denen, die die Passage überlebten oder als Gruß an die Seelen derjenigen, die auf dieser Strecke zu Tode kamen.

Und dann ist man „oben“. Im Isaan. Einer Landschaft mit zwei Gesichtern: dem staubig-sandig-trockenen in den Jahreszeiten, in denen der Reisanbau mangels Wasser ruht und dem saftig-grünen, wenn die Reisfelder in voller Pracht stehen.

Oktober und November sind eine gute Zeit, um den Isaan kennenzulernen. Alles ist in dieses satte Grün der Reisfelder getaucht, die kurz vor der Ernte stehen. Der Staub beschränkt sich auf die ungeteerten Dorfstraßen. Das Licht ist schön. Das Wetter warm, aber nicht erstickend heiß. Schon auf der Fahrt war ich beeindruckt.

Eine Woche lang nahm ich am Dorfleben teil, das für gewöhnlich in relativem Gleichklang dahinfließt, wenn nicht gerade ein Farang vor Ort ist oder ein Tempel- oder Familienfest ansteht. Der Chor der Hähne weckt am frühen Morgen, wenn es ihnen hell genug erscheint, auf jeden Fall aber bevor der Sonnenaufgang richtig startet. Dann unterbricht vielfaches Gurgeln, Husten, Wasserplätschern das Idyll. Das Dorf erwacht und mangels Geräuschdämmung ist man auch bei Nachbars zumindest akustisch live dabei.

Während des Tages herrscht behäbige Geschäftigkeit. Nur während der Erntezeit geht es etwas dynamischer zu. Am Nachmittag befahren diverse Händler die Dorfstraße. Sie klappern die Gegend ab und verkaufen Haushaltsgegenstände, gebratene Hühnchen, Eis oder sonstiges Allerlei und kündigen sich schon aus der Ferne mit lauter Musik aus getunten Autoboxen an. Und am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit, wird es früh ruhig im Dorf. Nur an den zwei, drei Dorfläden ist dann noch Licht und Betrieb. In der Regel stehen dann Alkoholkauf und sein Verzehr im Mittelpunkt der Aktivitäten.

Ich mag diese Ruhe und Beschaulichkeit. Ich mag es, in aller Frühe durchs Dorf oder die Felder zu laufen. Die frische Unberührtheit des frühen Morgens ist ein Geschenk, dazu noch die zu dieser Uhrzeit immer angenehmen Temperaturen. Aber auch der beschauliche Nachmittag hat Charme, in der Sala sitzend, die Händler beobachtend, mit den Nachbarn quatschend, essend oder trinkend. Ich mag das, zumindest eine Zeit lang. Dann beginnt mir derjenige Teil zu fehlen, der für mich Thailand eben auch ausmacht, nicht zuletzt das Meer und die schönen Strände.

Vor meinen morgendlichen Roundtrips zu Fuß beginne ich den Tag gerne gemütlich mit einer Tasse thailändischem Instant-Kaffee auf der Blaufliesen-Terrasse des Familienheimes. Kaum hat man bemerkt, dass ich mich von meinem Schlafzimmer im ersten Stock die Holztreppe mit ihren etwas unregelmäßigen Stufen hinunterbewege, hat ein dienstbarer Geist schon das Wasser zum Kochen gebracht und serviert mir kurze Zeit später den Thai-Kaffee zum Start in den Tag.

Nur an diesem einen Tag während meines ersten Aufenthaltes war es anders. Ich kam ins Erdgeschoss und da war schon eine Menge los. Vorwiegend alte Leute hatten sich versammelt und ich wartete vergebens auf meinen Kaffee. Stattdessen wurde ich an eine Stelle bugsiert, an der ein gebratenes Hühnchen und sonstige einheimische „Leckereien“ auf einer Bodendecke lagen, nebst Eiern, Früchten, Wasser und einem Glas Mekong-Whisky. Ich identifizierte die Ansammlung als eine Art Frühstücksbuffet für mich und machte meiner Liebsten klar, dass ich auf dieses Gedeck gerade gar keinen Appetit hätte und stattdessen gerne meine Zigarette rauchen und meinen üblichen Kaffee trinken wolle. Statt einer Antwort beförderte sie mich jedoch ziemlich unsanft neben sich in Hockposition. Unsere dritte Mitreisende, die lange in Deutschland lebte, perfekt deutsch spricht und die ich während dieser ersten Woche alleine unter Thais gerne gelegentlich um interkulturellen Rat fragte, war nicht da. Sie hatte sich wohl – in weiser Voraussicht – aus dem Staub gemacht. Also kniete ich zusammen mit meiner Freundin, die einen leicht aufgeregten Eindruck auf mich machte, vor dem Hühnchen und das Dutzend weiterer Personen, überwiegend ältere Leute aus dem Dorf, gesellte sich zu uns. Einer von denen hatte wohl das Sagen und begann mit einer Art Zeremonie. Mir wurde klar, dass es sich also bei den Lebensmitteln nicht um mein Frühstück, sondern offenbar um Opfergaben handelte. Ich war kurzzeitig erleichtert. Nachdem der Altenclub dem Hühnchen in den soeben aufgerissenen Bauch schaute, teilten alle – warum auch immer – meinen Zustand der Erleichterung und fachsimpelten erfreut über die Anordnung der Innereien. Danach wurden Wasser und Alkohol jeweils mehrfach von einer Schüssel in die nächste gefüllt, wobei peinlich darauf geachtet wurde, dass meine Herzallerliebste und ich unsere Hände an den Schüsseln behielten. Kein Problem für mich, so lange ich das Zeug nicht trinken musste. Als die Alten dann damit begannen, mir und meiner Thai weiße, miteinander verbundene Bindfäden um die Handgelenke zu legen, schwante mir, dass es sich hier wohl um irgendeinen zwar animistischen, aber doch formalen und verbindlichen Akt der Verpartnerung handeln müsse. Das fand ich nun gar nicht lustig, denn erstens wähnte ich unseren aktuellen Beziehungsstatus noch als „in der Findungsphase“ und zweitens würde ich doch gerne zumindest vorher über die Durchführung solcher Aktivitäten informiert werden wollen.

Wie auch immer: Ehe ich mich versah, war ich soeben noch vor dem ersten Kaffee und der ersten Zigarette des Tages in meiner ersten Woche im Isaan vom Dorfschamanen verlobt worden. Das Innenleben des Hühnchens verhieß uns Glück und Wohlstand. Der Schamane und die Verwandtschaft waren zufrieden. Die Anspannung meiner nun Angetrauten war spürbar, sicherlich auch aufgrund des Überraschungscoups. Sie wusste wohl, einerseits, dass das aus meiner Warte ein wenig früh und unerwartet war, aber sie hätte wohl andererseits – hätte sie es nicht getan – im Dorf „Gesicht verloren“, was in Thailand gleichbedeutend mit einer sozialen Ächtung ist. Nach dem Ende der Zeremonie brachten wir – jetzt nur noch zu zweit – die Opfergaben zu einem Geisterhäuschen auf dem Grundstück, das nach dem animistischen Verständnis die Seelen ihrer verstorbenen Eltern beherbergt. Mit einem Moment der Stille und des Innehaltens, nach dem Entzünden von einigen Räucherstäbchen stellten wir die Gaben ab. Und sie sagte zu mir: „Now you´re really arrived in my Baan.“ Und sie sah dabei sehr glücklich aus.

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